Dr. Reichmann, Eva; Sievert, Bianca: beruf & leben GbR

„Erfahrung ist das, was man aus dem macht, was einem zustößt.”
– Aldous Huxley

Bianca Sievert und Dr. Eva Reichmann sind seit 2011 erfolgreich gemeinsam selbständig mit der beruf & leben GbR. Der Kern ihrer Arbeit ist es, das Lernen und die Entwicklung von Menschen und Organisationen zu fördern. Die Beraterinnen bieten für Hochschulen ein Beratungs- und Trainingsangebot, das sich an Promovierende, PostDocs, Lehrende, Studierende und Mitarbeiter*innen aus Verwaltung und Technik richtet. Außerdem beraten sie Privatpersonen bei allen Fragen zur Berufswahl, BA/MA Abschlussarbeit, Karriereplanung und Bewerbung.

Bianca Sievert ist Literaturwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Hochschuldidaktik, berufsrelevante Kompetenzen, Portfolioarbeit und Wissensmanagement. Sie war Mitarbeiterin im Interdisziplinären Zentrum für Hochschuldidaktik und am Aufbau des Carrier Service der Universität Bielefeld beteiligt. Sie verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Konzeption und Durchführung von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten für akademischen Mittelbau, Studierende, Graduate Schools, Dozent*innen, Lehrende und Professor*innen. Sie unterstützt Hochschulen zum Beispiel bei der Entwicklung und Durchführung von Modulen und interdisziplinären Inhalten, bei der Gestaltung von zielgruppenspezifischen Angeboten und bei der Personalentwicklung.

Dr. Eva Reichmann ist als Literaturwissenschaftlerin und Historikerin 1980 aus Österreich nach Deutschland gewechselt und war langjährig als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bielefeld tätig. Sie war u.a. am Aufbau des Servicebereichs Beratung für Studium, Lehre und Karriere der Universität beteiligt. Außerdem war sie mehrere Jahre als selbständige Beraterin und Trainerin im Bereich internationale Personal- und Organisationsentwicklung unterwegs.
Ihre Schwerpunkte sind Personalentwicklung, Laufbahnplanung, Promotionsgestaltung, berufsrelevante Kompetenzen und hochschuldidaktische Themen. 

Bianca Sievert und Dr. Eva Reichmann im Gespräch mit Vera Wiehe über die Bedeutung von Hochschuldidaktik und die Karrierechancen von Frauen an den Hochschulen

Was hat Sie bewogen dieses Unternehmen zu gründen und was sind Ihre Schwerpunkte?

Eva Reichmann: Ich habe schon immer gerne freiberuflich gearbeitet. Mir sind Entscheidungsfreiheit und die Unabhängigkeit von administrativen Erfordernissen großer Institutionen sehr wichtig.

Bianca Sievert: Meiner Motivation ist ähnlich. Meine Mutter hat schon lange eine eigene Firma und ich bin geprägt, selbstständig und mit einem wirtschaftlichen Auge auf meine Tätigkeiten zu schauen.  Wir haben unsere Selbständigkeit über ein Jahr lang vorbereitet und sind ursprünglich mit einer anderen Idee gestartet. Wir wollten Unternehmen beim Umgang mit Mitarbeiter*innen anderer Nationalitäten durch landeskundige Assistenten unterstützen. Das hat sich überhaupt nicht etabliert. Dann haben wir mit unseren Themen im Bereich Karriereplanung, Softskills und Hochschuldidaktik begonnen und das Ganze nach und nach entwickelt.

Was bedeutet denn Hochschuldidaktik?

Eva Reichmann: Hochschuldidaktik ist die methodische Herangehensweise an das Konzipieren und Durchführen von Veranstaltungsformaten wie Seminare, Vorlesungen etc.. All das bieten wir für unterschiedliche Zielgruppen an, häufig mit einem Fokus auf berufliche Kontexte.  Denn oft geht es den Lehrenden nicht nur um die Vermittlung von Fachinhalten, sondern auch um eine berufliche Qualifizierung wie die Vermittlung von Kompetenzen zur Konzeptentwicklung. Das sind unsere Schwerpunkte. Wir haben als Zielgruppen Studierende in unterschiedlichen Phasen, Promovierende und wissenschaftliche Mitarbeitende und wir arbeiten mit Hochschuldozenten und Professor*innen. Unsere Auftraggeber sind in der Regel die Universitäten.

Wie konnten Sie ihr Angebot im Rahmen der Coronakrise aufrechthalten?

Bianca Sievert: Wir konnten auf die Corona-Krise sehr schnell mit unserer eigenen Lernplattform reagieren und unsere Workshops online anbieten. Die Online-Angebote bieten durchaus Vorteile. Wir sind vorher auf ungefähr 100 Reisetage pro Jahr gekommen, das Arbeiten ohne Reisen ist viel komfortabler. Viele Kunden haben festgestellt, dass Online-Workshops kein Hexenwerk sind, die Veranstaltungen laufen sehr gut und die Akzeptanz ist hoch. Wir sind mit unserer Portfolioarbeit mittlerweile deutschlandweit gut etabliert. Wir können es uns durchaus leisten, auch mal Anfragen abzusagen, die nicht ganz zu uns passen.

Eva Reichmann: Wir haben gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen gemacht, die für uns ergänzende Themen abdecken und die wir verlässlich empfehlen können.

Was sind Ihre Lieblingsprojekte?

Eva Reichmann:
Ich liebe Veranstaltungsformat, die viel Gestaltungsspielraum bieten im Sinne einer echten Weiterbildung. Hier können wir mit den Teilnehmenden und Auftraggebenden zusammen etwas Neues schaffen, das dann als Pilotprojekt für andere weiterentwickelt werden kann.

Bianca Sievert: Ich mag besonders Formate, in die ich aktuelle Ideen einfließen lassen kann wie zum Beispiel im Bereich Remote Recruiting. Das bedeutet, ich recherchiere, wie die Personalentwickler mit dem Thema Corona umgehen und welche digitalen Tools genutzt werden. Diese nutze ich dann und lasse diese verschiedenen Tools von den Teilnehmenden in der entsprechenden Veranstaltung ausprobieren. Ich bin begeistert von Formaten, die sich dynamisch immer wieder verändern und an neue Entwicklungen anpassen lassen.

Sie unterstützen viele Frauen bei der Karriereplanung. Wie ist die Situation für Frauen in der Wissenschaft? Gibt es mittlerweile Chancengerechtigkeit?

Eva Reichmann: Das kommt auf die Sichtweise an. Mittlerweile gibt es viele Männer, die genauso ihre Kinder aufwachsen sehen wollen wie die Frauen, denen Freizeit und Teilzeitarbeit wichtig ist.

Für Frauen ist die Karriere im Wissenschaftsbereich nach wie vor durch alte Glaubenssätze erschwert. Selbstverständlich tut sich etwas, aber Veränderungen entfalten nur langsam ihre Wirkung.
Wir setzen insbesondere beim Thema Führen und Zusammenarbeit Frauenschwerpunkte, weil Frauen im akademischen Kontext aufgrund der Strukturen an alte Grenzen stoßen. Führungskompetenzen und Führungsqualität spielen an Universitäten bislang kaum eine Rolle.

Ein wichtiges Thema für Frauen ist das Thema Durchsetzungsfähigkeit. „Was brauche ich, um mich zu positionieren“, ist die Frage, denn gerade Frauen neigen dazu, sich klein zu machen und ihre Kompetenzen nicht sichtbar zu machen.

Bianca Sievert: Wir führen viele Bewerbungsveranstaltungen durch, die in erster Linie von Frauen besucht werden. Darüber erhalten wir spannende und erschreckende Einblicke in die Bewerbungsmodalitäten für hochqualifizierte Frauen. Im Rahmen einer Veranstaltung mit zehn weiblichen graduierten Postdocs berichteten vier von ihnen, dass sie gefragt wurden, ob und wann sie schwanger werden wollen. Drei von ihnen hatten Vorstellungsgespräche mit nur einer Person ohne Gleichstellungsbeauftrage oder Personalratsvertretung. Zwei hatten gute Erfahrungen, allerdings nicht in der Hochschule, sondern in Unternehmen. Einer ist in einem großen Unternehmen ein schlechter bezahlter und befristeter Job angeboten worden, anders als ausgeschrieben war. Diese Erfahrungen hochqualifizierter Frauen sind sicher nicht die Regel, aber auch nicht die Ausnahme.

Was ist Ihre Empfehlung, was muss verändert werden?

Bianca Sievert: Das Thema ist nicht nur mit individuellen Durchsetzungsempfehlungen an die Frauen zu behandeln. Es gibt sehr qualifizierte Leute im Personalbereich, die tatsächlich auf Qualität schauen und nicht auf das Geschlecht oder den sonstigen Hintergrund.

Zur Verbesserung der Auswahlqualität im Hochschulbereich hätte ich schon ein paar Ideen. Wichtig wäre es, Führungskompetenzen im Anforderungsprofil für eine Professur zur verankern und entsprechende Nachweise zu fordern. Außerdem müssten strukturierte Auswahlverfahren vorgegeben werden. Dazu gehört die Beteiligung von Personalrat und Gleichstellungsbeauftragter. In Österreich z.B. sind Hochschulen einen Schritt weiter. Hier wurde die Verbeamtung einer Professur abgeschafft, die Führungs- und Arbeitsqualität werden evaluiert.

Eva Reichmann: Wir raten den Frauen auf ihrem Karriereweg ihre Marktmacht zu analysieren. Denn wir erleben häufig, dass die Bewerberinnen von einer großen Konkurrenz ausgehen und glauben, jederzeit austauschbar zu sein. Wichtig ist es, an die eigene Spezifikation zu glauben, diese nach außen zu transportieren und Wertschätzung zu erwarten. Ein Positivbeispiel ist die selbstbewusste Bewerberin, die sich umdreht, wenn der zugesagte KITA-Platz im Vertrag fehlt, und sagt, dann könnt ihr mich nicht haben.  Denn sie weiß, dass sie gebraucht wird, weil sie die einzige mit besonderer Forschungserfahrung in dem entsprechenden Bereich ist. Zugleich muss man damit leben, wenn das hochspezialisierte Lieblingsthema niemanden interessiert, dann kann man keine Anstellung erwarten. Es gibt nicht für jedes Thema die Abbildung auf dem Arbeitsmarkt.

Es ist wichtig, frühzeitig den richtigen Weg zu kennen, d.h. die Strategie zu planen. Das Ziel muss dabei noch nicht klar sein. Dazu kann man mit Menschen sprechen, die das schon machen und Tipps einholen. Es gehört dazu, sich zu überlegen, über welche Kompetenzen und Erfahrungen man verfügt und wie man arbeiten möchte.

Bianca Sievert: Der zweite Tipp ist der Realitätscheck, um zu überprüfen, ob die Vorstellung mit den realen Möglichkeiten übereinstimme. Ich habe in den letzten Jahren eine Aversion gegen den Begriff „Traumberuf“ entwickelt. Das ist tatsächlich der Punkt, an dem wir nicht immer von den Teilnehmerinnen geliebt werden. Es gibt Menschen, für die kann es ein Traumjob sein, drei Tage in der Woche Geld zu verdienen und den Rest der Zeit zu machen, was man gerne möchte. Wichtig ist es, die eigene Vorstellung von Karriere und von der beruflichen Qualifikation zu entwickeln.

Was mir noch auffällt ist, dass in Deutschland für das Thema Gründung das Verständnis fehlt. Es ist auch für Frauen wichtig, dass Karriere machen durchaus auch bedeuten kann, eine Selbstständigkeit aufzubauen.  Wir würden uns mehr öffentliche Förderung der Selbständigkeit wünschen. Dazu würde auch gehören, das Scheitern erlaubt ist. Wenn man etwas ausprobiert, kann es auch schiefgehen. Aber man lernt daraus für eine neue Unternehmung.

Wie arbeiten Sie zusammen?

Bianca Sievert: Plakativ gesagt – eine ist das Gehirn, die andere die Logistik, mit durchaus wechselnder Besetzung. Im Gespräch entsteht die Idee und eine von uns schreibt diese dann auf. Wir überarbeiten dann gemeinsam. So entsteht das Gefühl, das wir jedes Projekt gemeinsam erarbeiten.

Eva Reichmann: Wir haben unterschiedliche Herangehensweisen:  ich interessiere mich nicht besonders für Finanzen und würde das Geld einfach so herausgeben.  Ich bin eher die Person für den großen Wurf, während Bianca die Fähigkeit hat, die Details gut auszuarbeiten. Gemeinsam ist uns eine sehr schnelle Arbeitsweise. Während andere noch nachdenken, sind wir schon zur Höchstform aufgelaufen und haben die ersten Konzepte erstellt.

Wie wichtig sind für Sie Netzwerke?

Eva Reichmann: Es kommt auf das Netzwerk an, es muss effektiv sein, darf nicht zu arbeitsintensiv werden. Ich bringe gerne Leute zusammen, die beruflich voneinander profitieren können. Ich glaube unsere Netzwerke entstehen dadurch, dass Menschen, die mit uns gearbeitet haben, gut finden, was wir tun. Vielleicht könnten wir in Bezug auf Netzwerke mehr tun. Ich ziehe viel Energie daraus, mit Menschen zu arbeiten, die sich öffnen und einlassen und gemeinsam etwas entwickeln wollen. Das brauche ich aber nicht in meiner Freizeit, ich bin dann sehr gerne allein.

Bianca Sievert: Wenn ich beruflich mit sehr vielen Menschen zu tun habe, wie wir in unseren Workshops, dann brauche ich einen Ausgleich und den finde ich im Rückzug bei mir selbst. Trotzdem lerne ich gern neue Menschen kennen und wenn das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht, dann erweitere ich so mein Netzwerk.