Buddemeier, Ilse: Interview über 35 Jahre Gleichstellungsarbeit in der Stadt Bielefeld

Ilse Buddemeier

„Zuviel des Guten kann wunderbar sein.“ (Mae West)

Liebe Ilse, 
nach 35 Jahren als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bielefeld verlässt du nun dieses Amt. Dazu habe ich eine dicke Träne im Knopfloch. Wir haben wunderbar kooperiert und ich werde deine hohe strategische Kompetenz, deinen unendlichen Erfahrungsschatz, deine freundliche Beharrlichkeit, deinen eigenwilligen Humor und deine Fröhlichkeit gepaart mit einer durchaus (wenn nötig) spitzen Zunge sehr vermissen.

35 Jahre Gleichstellungsarbeit – was waren die wichtigsten Weichenstellungen?

Bielefeld war die zweite Stadt in Deutschland mit einer Gleichstellungsbeauftragten, ich war die zweite in dieser Funktion. Unsere erste Aufgabe war es, die Frauenfrage als Querschnittsthema in der Stadtverwaltung zu implementieren. Dazu wurde eine Bestandsaufnahme zur Gleichstellung von Frauen in den Bereichen Personal, städtische Planungen und Entscheidungen erstellt. Dies wurde möglich, weil per politischem Beschluss weit gehende Beteiligungsrechte der Gleichstellungsbeauftragten verankert wurden. Dadurch wurden alle Inhalte, die zur Bearbeitung der Aufgaben notwendig waren, zugänglich gemacht.

Positiv für unsere Arbeit war die offene Haltung bei der Personalverwaltung. Ein Jahr nach der Einrichtung der Gleichstellungsstelle wurde ein Frauenförderungsbeschluss gefasst, der Frauen bei gleicher Eignung bevorzug, lange bevor dies im Landesgleichstellungsgesetz NRW festgelegt wurde. Anfang der 80er Jahre lag noch viel stärker als heute offen zu Tage, dass es einen geteilten Arbeitsmarkt gibt. Die Stadtverwaltung als eine der großen Arbeitgeberinnen wollte mit gutem Beispiel vorangehen, um Strukturen zum Besseren für Frauen zu verändern. Ein Ziel war es, alle Berufe für Frauen zu öffnen. Ein anderes Ziel war die Erhöhung der Frauenanteile überall da, wo Frauen weniger als 50 % der Beschäftigten stellten, also auch in den Führungspositionen.

Anfang der 80er Jahre führten noch kleine Maßnahmen zu echten Sensationen wie z.B. die erste weibliche Auszubildende auf der Kläranlage. Inzwischen gibt es standardisierte Einstellungsverfahren. Mit der Frauenförderung insgesamt sind wir zufriedenstellend erfolgreich.
Kräftige Zuwächse gibt es im Bereich der Führungspositionen. Mittlerweile sind Teamleitungen kein Förderbereich mehr, weil es mehr weibliche als männliche Teamleitungen gibt.  Allerdings gibt es noch immer Probleme im technisch-gewerblichen Bereich.

Die Frauenfrage als Querschnittsthema – welche weiteren Aufgaben verbergen sich dahinter für die Stadtverwaltung?

Was das heißt, lässt sich am Beispiel der Aufstellung des Nahverkehrsplans verdeutlichen:
Der Nahverkehrsplan regelt die Mobilitätsversorgung der Bevölkerung, dabei steht aus klassisch männlicher Planersicht insbesondere der Transport zur Arbeit und zurück nach Hause im Fokus. Aus Frauensicht hat der Nahverkehrsplan aber auch eine soziale Komponente, sie sind neben dem Schülerverkehr die Hauptnutzergruppe öffentlicher Verkehrsmittel. Frauen sind eher als Männer auf den öffentlichen Nachverkehr angewiesen, weil sie nach wie vor seltener im Besitz eines Führerscheins- oder Autos sind. Die in unserer Gesellschaft immer noch weitgehende Zuständigkeit für die Haus- und Familienarbeit von Frauen verursacht – insbesondere bei erwerbstätigen Müttern – einen hohen und sehr differenzierten Mobilitätsbedarf. Kennzeichnend dafür zum Beispiel das Zurücklegen von Wegen in Begleitung von Kindern oder mit Gepäck. Außerdem resultieren auch aus der Angst vor sexueller Belästigung spezifische Sicherheitsanforderungen. Diese Mobilitätsbedürfnisse stellen besondere Anforderungen an die städtische Infrastruktur und somit auch an den öffentlichen Personennahverkehr. Das hat Auswirkungen auf die Anbindung bestimmter Stadtteile, die Schaffung von Tangentialverkehren, die Beschaffenheit von Haltestellen.  Dies alles charakterisiert gleichstellungspolitisches Verwaltungshandeln.

Pionierin als Gleichstellungsbeauftragte in den 80er Jahren – Wie war das für dich persönlich?

Das war wie Reisen in ganz ferne Länder. Ich fand es spannend und faszinierend für die Stadt, in der ich sehr gerne lebe, zu arbeiten. Gleichzeitig waren mir viele Prozesse und Sprachregelungen sehr fremd und in der Verwaltung gab es klare Vorstellungen darüber, was Männer- und was Frauensache ist. In wichtige Sitzungen war ich in der Regel die einzige Frau und wurde wohl deshalb hoffnungsfroh angelächelt, wenn Getränke hereingerollt wurden. Ich aber lächelte freundlich zurück und blieb sitzen.
Mit der Zeit hat sich die Unternehmenskultur der Stadtverwaltung verändert. Gemeinsam getragen wird das Verständnis, dass die Talente und Begabungen aller, d.h. auch der weiblichen Beschäftigten, gebraucht werden und deshalb alle Perspektiven abgebildet werden müssen.
Dazu haben wir durch unsere Arbeit beigetragen.

Mit welchen Strategien konntest du dich gegen Widerstände durchsetzen?

Wie ich erwarte, dass mir zugehört wird, höre ich die andere Seite auch genau an. Empathie ist sehr wichtig und das Identifizieren gemeinsamer Interessen. Selbstverständlich gehören eine gute Vorbereitung und eine kluge Argumentation dazu. Damit meine ich, dass man nicht im Ungefähren bleiben darf, sondern deutlich nachvollziehbare Argumentation vorbringen muss. Es geht darum, einen fachlichen Beitrag zu erbringen, der hilft, die Leistungen der Verwaltung für die Bevölkerung zu verbessern. Dieser gemeinsame Spirit sollte verdeutlicht werden.

Außerdem helfen ein fröhliches Gemüt und Leidenschaft für die Sache: dann gelingt es, die anderen mit zu begeistern. „Ich bin so glücklich, weil ich nie zufrieden bin“, dieses Zitat von Peter Ustinov
ist das Geheimnis meiner guten Laune.

Was ist dein persönlich wichtigstes Anliegen?

Ich halte es für wichtig, den Blick auch der anderen nicht nur auf den Einzelfall zu lenken, sondern die frauenpolitische Situation immer mitzudenken. So kann es im Einzelfall sinnvoll sein, einen Antrag auf Teilzeit zu unterstützen. Gleichzeitig ist es aber wichtig zu sehen, dass mit Teilzeitarbeit Probleme reproduziert und Strukturen verfestigt werden. Denn mit einer halben Stelle ist es für viele Frauen nicht möglich, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Sie liegen wegen ihrer Teilzeitarbeit unterhalb des Existenzminimums, sie sind also „arm durch Kind“. Und gleichzeitig wird Teilzeit als die Lösungsstrategie für das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf propagiert. So entsteht eine lebenslange Ungleichheit, die sich von der ersten Berufsunterbrechung bis zur geringen Rente fortsetzt. Dazu kommen gravierende Fehlanreize wie z.B. das steuerliche Ehegattensplitting, dass aus meiner Sicht erheblich dazu beiträgt, die patriachalen Strukturen immer wieder zu reproduzieren.

Existenzsicherndes Einkommen, Abnehmen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, mehr Sorgearbeit durch Männer, diese Ziele werden durch Teilzeitmaßnahmen konterkariert. Mir ist es sehr wichtig, dass die frauenpolitische Dimension immer mitgedacht wird.

Vereinbarkeit ist aus meiner Sicht kein Frauenthema, sondern eine wichtige Unternehmensstrategie. Das große Defizit liegt hier bei den Männern. Es ist mir gelungen, diese Sichtweise in der Verwaltung einzubringen.

Wie bewertest du die aktuelle Situation der Frauen nach 35 Jahren Gleichstellungsarbeit?

Vieles hat sich verbessert. So legen immer mehr Frauen Wert auf ihren Beruf und sind karriereorientiert. Im Bildungsbereich ist Gleichstellung faktisch erreicht. Frauenthemen sind aus der exotischen Ecke in den Mainstream gekommen. Es gibt immer mehr „Role Models“ auf höchster Ebene wie Regierungschefinnen oder Finanzministerinnen. Das wird die beruflichen Vorstellungen von jungen Frauen erweitern und neue Perspektiven aufweisen.

Jetzt wäre es noch wunderbar, wenn sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gründlich ändern würde: wenn Männer ernsthaft Erziehungszeit nehmen würden und sich das Engagement im Bereich der Haus- und Sorgearbeit gerecht mit Frauen teilen würden. Dann wären Frauen wirklich frei, ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen.