Pigerl-Radtke, Petra: Hauptgeschäftsführerin Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld

„Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg“

Kurzportrait

Seit September 2020 ist Petra Pigerl-Radtke Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld. Zusätzlich übernahm sie die Geschäftsführung der Umweltstiftung der ostwestfälischen Wirtschaft.

Die 54-jährige Bildungsexpertin studierte Linguistik und Erwachsenenbildung in Bamberg und Antwerpen. Nach ihrem beruflichen Einstieg bei der Volkshochschule des Landkreises Hof und der Handwerkskammer Aachen war sie 15 Jahre lang Personalentwicklungsleiterin der AOK Rheinland/Hamburg mit 8.000 Mitarbeitenden. 2016 wechselte sie zur Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein in Mönchengladbach als Geschäftsführerin für den Bereich Innovation, Bildung und Fachkräfte und stellvertretende Hauptgeschäftsführerin.

Petra Pigerl-Radtke ist verheiratet, lebt mittlerweile in Bielefeld und betreibt in ihrer Freizeit die japanische Kampfkunst AIKIDO.

Petra-Pigerl-Radtke im Interview mit Vera Wiehe über ihre Rolle in der IHK, Erfolgskriterien und die Situation von Frauen in der Wirtschaft

Sind Sie gut in Bielefeld als neuem Zuhause angekommen?

Ja, ich lebe gern in Bielefeld und genieße die kurze Distanz zwischen Wohn- und Dienstort. Bielefeld ist eine extrem lebenswerte Stadt mit der Nähe zum Teutoburger Wald, dem wertigen Einzelhandel, den netten Restaurants sowie einer lebendigen Kultur- und Sportszene. Die Menschen sind sehr aufgeschlossen. Sie mögen ruhiger sein als die Rheinländer, das empfinde ich aber als äußerst angenehm. Man nimmt sich Zeit für Gespräche und was verabredet wird, wird auch umgesetzt. Diese Mentalität passt gut zu mir.

Die Besonderheiten der Wirtschaft in Bielefeld und der Region OWL sind die konsequente Orientierung an Innovationen, die Vielfalt der Hochschulen, die verlässlichen Familienunternehmen, der breite Branchenmix, die Aufgeschlossenheit für Exporte und die vielen klugen Köpfe.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele als Hauptgeschäftsführerin der IHK?

Noch ist Krisenmanagement angesagt. Die Corona-Pandemie fordert uns allen vieles ab: Die IHK versteht sich als erste Ansprechpartnerin und Sprachrohr für Unternehmen. Wir haben eine Task Force aufgestellt, die unsere Mitgliedsunternehmen zu Soforthilfen und Maßnahmenpaketen berät, wir haben Problemstellungen gebündelt und an die Politik weitergeleitet. Die bundeseinheitlichen Fortbildungs- und Ausbildungsprüfungen mussten verlegt werden, es mussten mehr Prüferinnen und Prüfer sowie mehr Prüfungsorte organisiert werden, eine logistische Mammutaufgabe, für die ich anfangs noch als fachpolitische Sprecherin der Industrie- und Handelskammern in NRW zuständig war.
In Sachen Bildung sind die zentralen Herausforderungen für 2021, Ausbildung zu fördern. Denn Berufsorientierung und Praktika finden aktuell nur sehr eingeschränkt statt. Unternehmen im Homeoffice können nur erschwert Onboarding für Auszubildende organisieren und Praktikumsplätze für Schüler*innen zur Verfügung stellen.

Zur Attraktivität der Region gehören die weltbekannten Unternehmen, im Ranking der wichtigsten Mittelstandsunternehmen Deutschlands des DDW steht Bielefeld auf Platz 9. Die Start-up-Szene ist vorbildlich. Aktuell bleibt trotz Corona das Thema des Fachkräftemangels. Die Attraktivität der Region weiter zu erhöhen, bleibt insofern ein wichtiges Ziel. Um Fachkräfte zu halten, aber auch um attraktiv für Newcomer zu sein, müssen die Mittelzentren mitgenommen und die Anbindung an das Umfeld garantiert werden. Das ist auch Fokus der UrbanLand-Initiative, bei der wir als IHK kräftig mitwirken. Zur Imagebildung der Region tun wir gut daran, die Unternehmen weiter zu stärken und für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Für Fachkräfte von morgen muss das Gesamtpaket stimmen. Gerade beim Thema der Mobilitätswende ist es notwendig, alle Interessensgruppen zu berücksichtigen und gemeinsame Lösungen zu finden.

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeitsweisen und Angebote der IHK?

Die Industrie- und Handelskammer hat durch die Corona-Krise einen Digitalisierungsschub erlebt. Es wurden alle möglichen Veranstaltungen ins digitale Format überführt. Selbst Auswahlverfahren und unsere Vollversammlung der Mitgliedsunternehmen wurden digital durchgeführt.

Um die besonderen Schwierigkeiten am Ausbildungsmarkt aufzugreifen, bringt unter dem Stichwort „Ausbildungschance Digital – Speed Dating goes digital“ eine neue App Unternehmen und Jugendliche mit Ausbildungswunsch zusammen. Mit der digitalen Veranstaltungsreihe: „Raus aus der Krise“ wurden die Unterstützungswünsche der Unternehmen aufgegriffen.

Mittlerweile ist das digitale Arbeiten auch in der IHK alltäglich geworden, Menschen arbeiten verstärkt mobil, aber wir halten für unsere Kunden auch weiterhin persönliche Beratungsangebote vor.

Sie sind die erste Hauptgeschäftsführerin der IHK Bielefeld? Wo steht die Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft?

Nach langer Stagnation steigt aktuell der Anteil von Frauen im oberen Management. Das gilt auch für IHKs, mittlerweile werden immerhin 10 von 79 Industrie- und Handelskammern von Frauen geleitet. Wenn Frauen in Führung ein Beitrag sind, der IHK ein modernes Gesicht zu geben, finde ich das gut. Paritätische Beteiligung von Frauen an Führungsverantwortung halte ich für wichtig, denn Frauen stellen die Hälfte der Menschheit dar. Letztlich sollte aber die Kompetenz immer ausschlaggebend sein. Und da es so viele kompetente Frauen gibt, wünsche ich mir noch mehr diverse Teams. Ich bin eine Verfechterin von gemischten Teams. In meinen Verantwortungsbereichen habe ich jede Frau mit Potential und Karrierewunsch unterstützt, den nächsten Schritt zu machen.
Ich tue mich allerdings schwer mit der Quote, vielleicht kommt hier die Pädagogin in mir durch. Zwang ist immer nur die zweitbeste Lösung. Ich setze auf „Pull-“ statt „Push-Effekt“ und nehme Einfluss, wo ich kann.

 Wie erklären Sie die geringe Anzahl an Existenzgründerinnen?

In der Tat sind von den Gründer*innen zwei Drittel männlich und nur ein Drittel weiblich. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Das Thema Sicherheit wird eine Rolle spielen. Wenn man prognostizieren kann, dass Gründer*innen zeitlich und materiell drei bis sechs Jahre herunterfahren, d. h. investieren müssen, hält sie das ab zu gründen. So wie es leider manche Frauen vom Schritt in die nächste Karriereebene abhält, wenn Familiengründung bevorsteht. Viele erfolgreiche Gründungen erfolgen im technischen Bereich, in dem sich noch zu wenige Frauen tummeln. Mit zunehmend digitalen Geschäftsmodellen hoffe ich, dass noch mehr Frauen den Schritt in die Gründung wagen.

Was ist ihr Erfolgsrezept?

Für mich ist Bildung der Schlüssel zum Erfolg. Etwas gedanklich zu durchdringen und zu erleben, dass das eigene Handeln etwas bewirkt, motiviert und stärkt das Selbstbewusstsein.

Ich bin sehr lösungsorientiert. Es ist gut, für gemachte Fehler die Verantwortung zu übernehmen, aber ich halte mich nicht zu lange mit der Problemsicht auf: Fehler analysieren, neu ausprobieren, nach vorne schauen, das ist meine Einstellung.

Bei wichtigen Themen bin ich immer sehr gut vorbereitet und habe ein Konzept im Kopf. Darüber hinaus kann ich Themen und Inhalte gut vernetzen und schaffe es, die Fäden zusammenzuhalten. Ich glaube, dass es wichtig ist, wirklich Verantwortung übernehmen zu wollen. Das tue ich selbstverständlich in partnerschaftlicher Abstimmung mit den Geschäftsführungskolleg*innen. Ein gutes Team ist enorm wichtig, um eine Organisation nachhaltig gut gestalten zu können.

Welchen Führungsstil haben Sie?

Ich bin sehr wertschätzend im Umgang, ehrlich und gradlinig. In schwierigen „Lebenslagen“ kümmere ich mich um jede und jeden – mehr, als es eigentlich sein müsste. Auch das gehört für mich zur selbst gewählten Verantwortung. Zugleich bin ich sehr klar in der Sache und leistungsorientiert. Man kann mich gut einschätzen und weiß, womit man mich erfreuen oder ärgern kann. Was ich nicht mag, sind Unehrlichkeit und Falschheit. Hintenherum ist nicht meins.

 Welche Tipps für karriereorientierte Frauen haben Sie?

Es muss nicht jede Frau berufliche Karriere machen. Es ist wichtig, die Entscheidung zu treffen, diese Karriere wirklich zu wollen mit allen Konsequenzen, die daran hängen.
Zugleich sollten Frauen sich nicht an den Spielregeln der männlich geprägten Arbeitswelt abarbeiten. Wichtig ist es, strategisch zu bleiben und einen heiteren Umgang zu bewahren.

Mentoringprogramme gefallen mir sehr gut, auch, wenn männliche Mentoren Frauen unterstützen. Auch so können einflussreiche Beziehungen entstehen, die Frauen voranbringen und etwas bewegen.

Netzwerke sind wichtig für die Karriere, vorausgesetzt man bringt sich selbst ein. Lieber in wenigen Netzwerken aktiv sein, in die man sich richtig einbringt. So profitieren alle Teilnehmer*innen von Netzwerken.