Dokumentation: „Zwischen Topmanagement und Minijob – zur aktuellen Situation von Frauen in der Wirtschaft“ am 27.01.2021

Gräfin Christiane Matuschka

Gräfin Christiane Matuschka, Fidar e.V. begrüßt die gut 80 Gäste im Namen der Veranstalterinnen:  Vera Wiehe von der WEGE – Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Bielefeld mbH, Christina Rouvray vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL, Agnieszka Salek Leiterin der Gleichstellungsstelle Stadt Bielefeld und FidAR e.V. (Frauen in die Aufsichtsräte).

 „FidAR sagt ja, wir brauchen die Quote. Sie ist ein wesentlicher Punkt im sogenannten Führungspositionen Gesetz,- das klingt ein bisschen penetrant! ABER: „Penetranz schafft Akzeptanz“. Dieser Satz sagt ALLES. Mit dieser Quote geben wir qualifizierten und motivierten Frauen die Möglichkeiten, die sie verdienen. Wir haben das zusammen mit vielen engagierten Frauen aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Kultur erreicht. „

Die Moderatorin Vera Wiehe eröffnete die Veranstaltung mit einem Zitat aus Jutta Allmendingers aktuellen Buch: „Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen!“ Ullstein Verlag 2021, S. 99

 „Nun ließe sich (gegen die Quote) einwenden, was denn eine Kassiererin, eine Krankenpflegerin oder eine Erzieherin von Frauenquoten für Führungspositionen hat. Die Antwort: Quoten senden ein mächtiges Signal für die Gleichstellung in die Breite. Sie stehen für gleichen Lohn für vergleichbare Erwerbsarbeit, Anpassung der unbezahlten Care-Arbeit von Frauen und Männern, für mehr Sichtbarkeit von Frauen, für Vorbilder. Nur so können Geschlechterstereotype abgebaut, nur so die großen Unterschiede im Lebenseinkommen reduziert und ordentliche Altersrenten erzielt werden.“

 

Vera Wiehe
Christina Rouvray

Teil I: „Für wen lohnt sich Arbeit“

Przemyslaw Brandt vom ifo Institut Leibniz-Institut für Wirtschaftsförderung an der Universität München e.V. stellte die StudiePartizipationsbelastungen im deutschen Steuer-, Abgaben- und Transfersystem“ vor, die das Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Nov. 2020 durchführte.

Die Studie macht deutlich: das deutsche Steuer- und Transfersystem führt dazu, dass viele Frauen oder Geringverdiener in der Minijob-Falle stecken bleiben.  „Das Zusammenwirken im deutschen Steuer-, Abgaben- und Transfersystem trägt dazu bei, dass viele Frauen und Mütter sowie zahlreiche Beschäftigte insbesondere im Niedriglohnsektor in Kleinstjobs, geringfügiger Beschäftigung oder Teilzeit mit niedriger Stundenzahl gefangen sind – ein Mehr an Arbeit lohnt sich finanziell häufig nicht“. Betroffen sind insbesondere Alleinstehende und Alleinerziehende im Niedriglohnsektor sowie Zweitverdienerinnen in Paarhaushalten. Von 7,6 Millionen Ehefrauen im Erwerbsalter haben mit 6 Millionen rund drei Viertel ein geringeres Einkommen als der Mann und sind demnach Zweitverdienerinnen. Sie leiden darunter, dass bei der Aufnahme einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung Einkommensteuer anfällt, die über dem üblichen Eingangssteuersatz liegt.

Um Zweitverdienende und damit vor allem Frauen und Mütter aus der Minijobfalle zu befreien. sollten Minijobs eingeschränkt sowie das Ehegattensplitting reformiert werden. Damit ließe sich eine Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung für diese Gruppe attraktiver machen. Nimmt man darüber hinaus Alleinstehende und Alleinerziehende im Niedriglohn in den Blick, sollte eine Anpassung der Hinzuverdienstregelung angestrebt werden, damit sich die Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt auch für sie auszahlt.

 

Przemyslaw Brandt

Agnieszka Salek, Leiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt Bielefeld, betonte die Bedeutung des Themas existenzsichernde Beschäftigung aus gleichstellungspolitischer Perspektive und verwies auf die gravierenden Nachteile und Risiken für Frauen, die der Beschäftigungsform „Minijob“ nachgehen. Minijobs haben sehr negative Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsleben und zementieren die tradierten Familienrollen. Zudem machen sie die Nachteile für Frauen im Bereich des Steuerrechts und der Sozialversicherung deutlich.  Die finanzielle Abhängigkeit vom Partner, insbesondere bei Trennung, Scheidung, Tod, Herabstufung der Qualifikationen, Altersarmut sowie finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Leistungen gehören zu weiteren erheblichen Risiken für Frauen.

 

Agnieszka Salek

Anke Unger kritisierte die negativen Folgen der Minijobs für das Sozialversicherungssystems. Mit Verweis auf die aktuelle Krise machte sie deutlich, dass die Kurzarbeitsregelungen zur Unterstützung der Wirtschaft nur finanzierbar waren und sind, weil genügend Menschen in das Sozialversicherungssystem einzahlen. Diese Säule wird durch eine Ausweitung der Minijobverdienstgrenze untergraben.

Der DGB fordert dagegen eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten verdienten Euro, die Abschaffung des Ehegattensplitting sowie die Erhöhung der Mindestlöhne.

 

Anke Unger

Teil II „Globales Schlusslicht Deutschland“

Das Bundeskabinett hat am 6. Januar den Gesetzentwurf zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionengesetz – FüPoG II) beschlossen.  Künftig muss in den Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mindestens eine Frau sitzen, wenn dieser Vorstand mehr als drei Mitglieder hat. Aktuell trifft das laut Bundesfrauenministerium auf rund 70 DAX-Unternehmen zu, von denen knapp 30 noch keine Frau im Vorstand haben.

Christian Berg, Geschäftsführer der AllBright Stiftung in Berlin stellte in seinem Vortrag „Mehr Frauen in Führung – wie hilfreich wird die neue Quotenregelung?“ die aktuelle Situation von Frauen im deutschen Topmanagement im Vergleich zu Schweden vor.

Im internationalen Vergleich zum Frauenanteil in den Vorständen der jeweils führenden 30 Unternehmen steht Deutschland mit 12,8% an letzter Stelle. Das durchschnittliche Vorstandsmitglied ist männlich, deutsch, in West-Deutschland ausgebildet und heißt Thomas. In deutschen Familienunternehmen gilt: je privater, desto männlicher. Lediglich 4,8% der Geschäftsführungen sind hier in Frauenhand. Gemischt besetzte Führungsteams sind, nach Berg, profitabler, innovativer, attraktiver für Talente und verstehen Kunden und Gesellschaft besser.
Überholte Rollenzuschreibungen und Geschlechterstereotype, die u.a. durch das Ehegattensplitting manifestiert werden, gelten als Hauptursache. „Auch in Schweden gab es Widerstand, als das Ehegattensplitting 1971 abgeschafft wurde, das war kein Selbstläufer. Aber es ist machbar – auch in Deutschland,“ ist Christian Berg überzeugt. Er fasst als Erfolgsfaktoren für mehr Frauen in Führungspositionen zusammen: Chefsache; Kulturwandel; interne Ziele; Role Models; Männer einbeziehen.

Seine Tipps an Männer, um Frauen in Führung zu unterstützen, möchten die Veranstalterinnen gerne golden rahmen lassen:

Übernimm die Hälfte der Haus- und Familienarbeit. /  Öffne deine Netzwerke. / All-Male-Panel? Ohne mich. /  Sprich von Mann zu Mann.  

Die AllBright Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Stockholm und Berlin. Sie setzt sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft ein. Gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen und bessere Unternehmensresultate durch gemischte, moderne Führungsteams sind das Ziel.

Christian Berg

Im Anschluss kommentierten und diskutierten das Thema: „Mehr Frauen in Führung – wie hilfreich wird die neue Quotenregelung?“ Cord Budde, Inhaber der Weinrich GmbH & CO. KG Schokoladenfabrik , Herford; Daniela Siekmann, Diversity Lead  und Controllerin bei der itelligence AG, Bielefeld sowie Susanne Fabry,  bis Ende 2020 Head of Regional Market, Energy Networks Germany bei E.ON SE und ab April 2021 Vorstand bei der Rheinenergie in Köln.

Cord Budde ist Inhaber der Ludwig Weinrich GmbH & CO. KG Schokoladenfabrik in Herford, ein Familienunternehmen in vierter Generation. Das Unternehmen ist aktiv in den Bereichen Nachhaltigkeit und CSR – Corporate Social Responsibility. Es produziert seit 1996 Fairtrade-Schokolade und wurde im August 2019 für sein Energiekonzept als Projekt des Monats der Energieagentur NRW ausgezeichnet. Auch das Thema Gender Diversity spielt bei Weinrich eine wichtige Rolle, 50% der Leitungsfunktionen sind mit Frauen besetzt. Cord Budde würde eine weibliche Nachfolge in seinem Unternehmen unterstützen. Den geringen Anteil von weiblichen Geschäftsführungen in Familienunternehmen führt er auf das Beharrungsvermögen traditioneller Inhaber zurück. Die sehr verhaltene Resonanz von Männern bezüglich der Förderung von Frauenkarrieren hält er für einen Fehler. Er ist überzeugt, dass männliche Vorgesetzte eine Verantwortung für die Karrieren ihrer Mitarbeiterinnen übernehmen und offensiv für Frauen in Führung eintreten sollten.

 

Cord Budde

Daniela Siekmann ist aktuell Diversity Lead und Controllerin in der Deutschland SAP-Einheit der itelligence AG, das führende SAP-Beratungshaus. In Deutschland engagiert sich eine große Anzahl von Mitarbeitenden in der Initiative „Diversity@itelligence“, die sich als Graswurzelinitiative versteht. Kernelemente von Graswurzelinitiativen in Unternehmen sind nach Sabine und Alexander Kluge eine Haltung von „zivilem Ungehorsam, die Durchführung wirksamer Einzelaktionen und der Aufbau von Netzwerken.  „Wir haben bei itelligence Deutschland mit unseren Aktivitäten auf der einen Seite auf höchster Managementebene ein Bewusstsein für die Bedeutung, den Business Impact und den Mehrwert des Gender Diversity-Themas geschaffen. Die Aktivitäten werden vom Topmanagement unterstützt, dennoch beschreibt Daniela Siekmann den Kulturwandel und das Aufbrechen von Rollenstereotypen als weiten Weg. Es gilt ein Problembewusstsein auf allen Ebenen zu schaffen und alle Mitarbeitenden zu „Betroffenen“ zu machen.

Daniela Siekmann

Susanne Fabry, bis Ende 2020 Head of Regional Market, Energy Networks Germany bei E.ON SE, arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der deutschen Strom- und Gasnetze. Die Juristin mit MBA in European Utility Management arbeitete zuvor als Geschäftsführerin der Avacon Netz GmbH, Leiterin Netzwirtschaft bei der Westfalen Weser Netz GmbH und Head of Legal bei E.ON in Tschechien.  Ab April 2021 ist sie Vorstand bei der Rheinenergie in Köln (Strom, Gas, Wasser, Fernwärme – ca. 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter https://www.rheinenergie.com/de/). Sie ist Mitgründerin der MANAGERINNEN OWL, im Komitee FidAR West seit Dezember 2020, Mentorin women@e.on und eine der Gestalterinnen des neuen Frauennetzwerks im E.ON Konzern mit Integration der Innogy.

„Ich bin gewohnt, eine Quotenfrau zu sein und ich bin es gern. Wenn ich in der entsprechenden Position bin, kann ich immer zeigen, dass ich es auch kann. Das hat mich Zeit meines bisherigen Berufslebens begleitet – dort bin ich in der Regel nicht wegen einer Quote auf die jeweilige Stelle gekommen. Und musste im technischen Umfeld doch oft zeigen, dass ich es auch kann (daran hätte bei einem Mann keiner gezweifelt). Über die neue Quotenregelung freue ich mich sehr. Sie wird, genau wie auch die Quote für Aufsichtsräte, eine Ausstrahlungswirkung in der Besetzung von Stellen haben. Das ist gut und trägt zu mehr Fairness und neuer Kultur in Mixed Leadership bei. Und ich möchte jungen Frauen Mut machen, sich etwas zuzutrauen, hinzugehen und den Mund aufzumachen. Wir brauchen sie alle.“

 

Susanne Fabry