Prof. Bosse, Katharina: Fachhochschule Bielefeld

Portrait

Prof. Katharina Bosse, ist seit 2003 Professorin am Fachbereich Gestaltung im Gebiet Künstlerische Fotografie der Fachhochschule Bielefeld. Die 53-Jährige, geboren in Finnland und aufgewachsen in Süddeutschland, studierte den Schwerpunkt Foto/Film am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld. Anschließend arbeitete sie zwei Jahre lang in Köln an künstlerischen Projekten, Ausstellungen und Auftragsarbeiten für Magazine. Von 1997- 2003 lebte sie in New York und arbeitete auch hier an künstlerischen Projekten und internationalen Ausstellungen und erstellte Auftragsarbeiten für deutsche und amerikanische Magazine wie The New Yorker, The New York Times Magazine, Geo oder Der Spiegel.

Katharina Bosse erhielt etliche Preise und Stipendien, wie 1989 den 2. Preis des Fotowettbewerbs der ZEIT für Nachwuchsjournalismus, 1992 Kodak European Panorama of Young Professional Photography, 1993 Auszeichnung Reinhart Wolf Preis,1994 Stipendium des DAAD zur Entwicklung eines künstlerischen Projektes in Las Vegas und New York, 2009 Förderung der Stiftung Kunstfonds und gelangte 2010 in die Endrunde des Gabriele Münter Preises.

Eine Auswahl ihrer Einzelausstellungen: 1993 „Ein Teil Rot“, Fotomuseum, Tallinn; 1997
„Signe“, Galerie Lukas & Hoffmann, Köln, Kunstverein Kirchzarten; 1999 „Ten rooms for sex“, Henry Urbach Architecture, New York, 2000 „From outside/from inside“, Henry Urbach Architecture, New York, 2001 „Surface Tension“ Kunstverein Ulm, 2002″New Burlesque“ Alan Koppel Gallery, Chicago; 2004 „Mermaids and the City“, Alan Koppel Gallery, Chicago and Gallerie Anne Barrault, Paris; 2011/2 „A Portrait oft he Artist as a Young Mother“, Kunsthalle Bielefeld, Kulturzentrum Konstanz; 2017 „Sites of Projection“, Chapman Gallery, KSU, Manhattan, Kansas  

Katharina Bosse im Gespräch mit Vera Wiehe über Frauen in der Fotografie.

Ich habe auf Clubhouse deinen Talk zum Thema Fotografie besucht. Wie bewertest du dieses Format?

Clubhouse speziell empfinde ich als sehr angenehm, weil man nur die Stimme hat und das ist für mich persönlicher und zugleich entspannter als Videokonferenzen. Die Augen haben mehr Ruhe und man achtet auf die Nuancen der Stimmen der Gesprächspartner*innen, es ist ein bisschen so, als ob man in einem echten Raum plaudert. Die Clubhouse-Atmosphäre erinnert an die Pausen in Konferenzen, wenn man auf persönliche Art weiter über das Thema oder den Vortrag spricht. Es entsteht viel Nähe und man ist total konzentriert in einem Fachgespräch mit Menschen, die aus der Fotografie stammen.

Ist deine spannende Karriere geplant oder eher zufällig verlaufen?

Ich habe mich schon mit achtzehn dafür entschieden, die Fotografie als Beruf zu verfolgen und das auch sehr zielstrebig umgesetzt. Ich bin direkt nach dem Abitur von Freiburg nach Essen gezogen, weil ich dort einen Praktikumsplatz bei einer journalistischen Agentur hatte.
Im Alter von fünf 5 Jahren bin ich aus Kanada, meine Mutter ist Kanadierin, nach Deutschland gekommen. Die Biographie spielt bei mir eine wichtige Rolle, weil dieser Wechsel von einem Kontinent zum anderen mein Leben sehr geprägt hat. Das ich später wieder nach New York ausgewandert bin, hat auch was damit zu tun, dass meine Eltern nicht in Deutschland geboren sind. Es ist meine bewusste Entscheidung in Deutschland zu leben und Bielefeld ist meine Wahlheimat

Was bedeutet Heimat für dich?

In erster Linie würde ich sagen, Heimat ist da, wo das Herz ist. Ich spüre eine große Verbundenheit mit Bielefeld, weil meine Kinder hier leben und ich sie hier großgezogen habe. Und dieser Ort hat mir als alleinerziehende Mutter vieles ermöglicht. Ich konnte hier die Hochschule, mein Atelier und mein Muttersein sehr einfach verbinden. Es war hier gut möglich, eine so komplexe Lebensform zu leben. Das wäre in größeren Städten mit mehr Verkehr und höheren Mietpreisen schwierig geworden. Und in einer kleineren Stadt hätte ich natürlich nicht das künstlerische Umfeld gehabt, wie es die Institutionen und die Hochschule hier bietet.

Aus welchen Gründen ist Bielefeld deine Wahlheimat geworden?

Ich habe sieben Jahre in New York gelebt und war dort sehr erfolgreich als Magazinfotografin tätig. Ich habe für fast alle großen Magazine gearbeitet, die man sich wünschen kann wie die New York Times, Cosmopolitan, die Zeit, Stern oder Spiegel. Ich habe viele Ausstellungen gemacht und alles lief besser als erträumt.

Eigentlich hatte ich nie den Plan nach Deutschland zurückzukehren. Ich habe mich dann auf die Professur in Bielefeld beworben, weil ich in einem Alter war, in dem der Wunsch nach Familie und Kindern für mich wichtig wurde. Meine Lebensform und mein Arbeitspensum in New York ließen sich nicht mit meinem Kinderwunsch vereinbaren. Außerdem konnte ich mir gut vorstellen Fotografie zu unterrichten.

Als ich dann den Ruf nach Bielefeld erhielt, musste ich eine sehr schwere Entscheidung treffen und mein gesamtes Leben auf den Kopf stellen. Diese Entscheidungen sind für Frauen besondere Herausforderungen, denn die Jahre, in denen wir eine Familie gründen können, sind so unheimlich kurz. Und egal, welche Entscheidung getroffen wird, man zahlt den Preis dafür. Für mich war die Entscheidung gegen New York eine wirklich dramatische Entscheidung.  In den ersten Jahren hatte ich in Bielefeld zu kämpfen und fühlte mich wie im Exil.  Ich habe mich dann aber sehr gut eingelebt und die familiengerechte Infrastruktur hier wie Schwimmbäder, Bibliotheken und Parks sehr genossen.

Diese frühe Karriere, von der 18-jährigen Studentin der Fotografie zur anerkannten Fotografin in New York mit 30 Jahren, wie hast du das geschafft?

Also ich glaube, ich war immer sehr entschlossen und habe mich 100 prozentig auf die Fotografie eingelassen mit einer für das Alter vielleicht untypischen Unbedingtheit. Ich habe meine gesamte Zeit dafür eingesetzt, eine gute Fotografin zu werden. Ich habe mich nicht ablenken lassen und ich hatte auch keine anderen Hobbys. Ich war getrieben von diesem künstlerischen Ehrgeiz. Und ich hatte Glück.

Was ist der Unterschied zwischen einer Fotografin und fotografischen Künstlerin?

Ich habe mich lange Zeit als Fotografin bezeichnet, um eine Haltung zu zeigen, auch wenn mich diese Kategorisierung in Fotografin oder fotografische Künstlerin gestört hat. In New York wird viel weniger unterschieden und es gibt die breitere Kategorie der „Artists“.

Jetzt im Moment würde ich aber sagen, ich bin Künstlerin, weil die Auftragsfotografie für mich zur absoluten Ausnahme geworden ist. Außerdem merke ich eine Veränderung durch die Beschäftigung mit dem Kunstraum Elsa, in dem ich nur teilweise Fotografie ausstelle und mich sehr offen mit vielen künstlerischen Konzeptionen auseinandersetze. Durch dieses Denken in Raumkonzepten ist mein Selbstverständnis viel weiter gefasst, als es der Begriff Fotografin wiedergeben kann.

Wie kommst du zu deinen Themen oder Motivreihen?

Meine Arbeiten haben im weitesten Sinne mit Fragen der Identität zu tun, haben aber auch die fotografische Transformation im Blick. Damit meine ich die Frage, wie erlebe ich das Bild aus der Sicht des Publikums. Mich beschäftigt von Anfang an die Wirkung des Bildes. Ich stelle mir vor, wie das Bild im Raum hängen wird und überlege, was passieren soll, wenn jemand den Raum betritt.  Ich frage mich, wie viel ich zeigen muss, damit jemand zweimal hinsieht. Zum Beispiel zeige ich Personen kleiner als bei klassischen Portraits üblich. Nimmt man mein Mutterbild in der Kunsthalle Bielefeld, da könnte man auch hereinzoomen, weil das für die Betrachter Interessante ja nicht die Bäume sind, sondern die Handlung unter den Bäumen. Man muss sich als Betrachter*in erst mal durch diese Natur zur Handlung kämpfen. Das ist mein bewusster Umgang mit der Sekunde, die es braucht, um das Bild zu begreifen.

Haben Frauen einen anderen Angang an ihre Kunst als Männer? Gibt es eine frauenspezifische Fotokunst?

Wenn man die Lebensrealität von Frauen betrachtet, dann gibt andere Themen, die sie beschäftigen und auch andere Zugänge zu den Themen. Aber man kann nichts verallgemeinern. Es gibt zum Beispiel Bilder von jüngeren Fotografinnen, die aussehen wie sexistische Männerbilder aus den 80igern. Wenn man nicht wüsste, in welchem Jahrzehnt man ist, würde man keinen Unterschied sehen. Die Bilder werden anders rezipiert, weil sie von jungen Frauen gemacht sind, die ihre Freundinnen fotografieren und nicht von älteren Männern, die junge Frauen fotografieren.

Wie Frauen ihre Themen bearbeiten, kann man am besten anhand von Beispielen zeigen: nimmt man das Motiv des Roadtrips, so wird ein Roadtrip von klassischen männlichen Fotografen eher in so einer einsamer Wolf Attitüde unternommen. Der Roadtrip der amerikanischen Künstlerin Justin Kurland dagegen zeigt in den Bildern auch ihren Sohn, der mit ihr reist. Es ist typisch, dass viele Frauen nicht komplett die Bindungen kappen können, um fotografieren zu können. Der andere fotografische Blick der Frau ergibt sich aus ihren Lebensumständen.

Ich habe mich der Frage nach einem geschlechtsspezifischen Blick eingehend beschäftigt.
Als junge Fotografien war ich der Ansicht, dass meine Bilder unabhängig von meinem Geschlecht entstehen. Heute weiß ich, dass die Welt für Männer und Frauen absolut unterschiedlich und deshalb auch nicht gleichberechtigt ist. Das Geschlecht prägt den Umgang mit Geld und Zeit und damit die Produktionsformen.  Das ist in der Kunstgeschichte so und trifft auch heute zum Teil noch zu. Es hängt davon ab, ob man Kinder hat oder nicht, ob man einen Partner hat, der unterstützt oder nicht.

Außerdem habe ich rausgefunden, dass es durchaus Roadtrips von Frauen gibt, die aber wenig publiziert werden und damit viel weniger Beachtung finden. Man hat das Gefühl, dass es nur wenige abenteuerlustige Frauen gibt, weil sie nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.

Wie steht es mit der Chancengleichheit für Fotografinnen auf dem Kunstmarkt?

Ich bin seit zwei Jahren Mitglied des Fotografinnen-Kollektivs »Female Photographers Org«, das sich als feministische Antwort auf die mediale und gesellschaftliche Repräsentation von Frauen in der Fotografie versteht. Es möchte Sichtbarkeit erzeugen, die Frauen vernetzen und so den Kunstmarkt verändern. Wir haben im letzten Jahr das erste Buch „The Body Issue“ veröffentlicht, dabei handelt es sich um einen bildlichen Dialog über Körper und deren Wahrnehmung innerhalb der Medien. Ich finde das richtig gut, dass ich dabei bin, denn ich bin überzeugt, dass sich von selbst gar nichts ändern wird.

Die Situation ist, dass insgesamt mehr Männer ausgestellt werden als Frauen. Auch wenn es für junge Künstlerinnen nicht schwer ist, die erste Aufmerksamkeit zu erhalten und ausgestellt zu werden, besteht ein großer Unterschied zwischen einer Ausstellung und einer Karriere.  Es ist relativ schwer eine erfolgreichen Berufsweg zu starten und beizubehalten.
Besonders problematisch ist die Kunstförderung, die mit 35 bis 40 Jahren aufhört. Eine absolute Genderungerechtigkeit sind die Residenzstipendien, zu denen Kinder nicht mitgebracht werden können. Den betroffenen Künstlerinnen fehlen dann diese Jahre im Lebenslauf. Wenn die Kinder groß sind und die Frauen Vollgas geben können, sind sie immer noch in Konkurrenz mit den Männern, und das Ungleichgewicht bleibt bestehen. 

Deshalb habe ich das Elsa-Stipendium für Alleinerziehende auf den Weg gebracht, ich unterstütze damit eine Künstlerin und setze ein politisches Signal für diese nicht geförderte Gruppe in der Kunst.

Da ich das ehrenamtlich allein finanziere, wäre es sehr schön, wenn ich Mitstreiterinnen zur Unterstützung gewinnen könnte. Ich würde mir wünschen, dass es vielleicht eine Frau aus der Bielefelder Wirtschaft das Stipendium für alleinerziehende Fotografinnen mit unterstützt.

Was ist das Elsa?

Das „Elsa“ habe ich 2019 ehrenamtlich als Galerie für künstlerische Konzepte gegründet. Der Schwerpunkt liegt in der Verbindung von regionaler mit nationaler und internationaler Fotografie und Kunst. Die Förderung des Frauenanteils in der Kunst und der Diversität von Biografien sowie das Ausbauen von Netzwerken sind wichtiger Bestandteil. Ich habe ein internationales künstlerisches Netzwerk und möchte das mit meinem Bielefelder Netzwerk zusammenbringen. Das Denken in Gemeinschaften ist für mich sehr wichtig, es entsteht immer viel mehr, als man allein schaffen könnte.

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Woran arbeitest du aktuell, hast du ein Lieblingsprojekt?

Ich arbeite im Moment an zwei Serien, die mir besonders wichtig sind:
das eine ist eine Langzeitportraitserie, die ich von meinen Kindern mache.

Dann arbeite ich gerade an einer neuen Serie mit weiblichen Figuren aus dem Modellbau. Das sind Fotografinnen, d.h. weibliche Figuren mit Kamera, die ich in Nachtansichten auf verlassenen Straßen laufen lasse. Ich spiele mit der Unsichtbarkeit von Frauen in der Fotografie, aber auch mit dem Klischee, dass Frauen der Nachtraum eigentlich nicht zugestanden wird.

Die Figuren wirken pin-up-mässig und fotografieren die ganze Zeit, somit beinhalten sie den männlichen und den weiblichen Blick in einem.

Würdest du dich als Feministin bezeichnen?

Ich würde sagen, ich bin auf jeden Fall eine Feministin. Das prägt in vielen Fällen auch meine Arbeit. Bei der Mutterserie wie auch bei den Fotografinnen-Püppchen-Serie ist die feministische Perspektive eindeutig.

Andere Arbeiten sind nicht so sehr vom Inhalt feministisch, aber von der Produktionsweise. Was ich damit meine, möchte ich am Beispiel der Residenzstipendien erläutern.

Mütter, die keine Kinderbetreuung für die Stipendienzeit haben, sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Ich war davon betroffen. Mir war ein Stipendium zugesagt worden, das abgesagt wurde, weil ich meine Kinder mitbringen wollte, obwohl ich deren Versorgung geklärt hatte.

Dann hat mir eine befreundete Mutter und Künstlerin privat einen Raum und ein Projekt angeboten. Das war für mich wie ein Stipendium, weil ich dort zwei Wochen lang kostenfrei Leben und Arbeiten konnte. Ohne dieses inoffizielle Stipendium hätte ich niemals die große Serie meiner Kinderportraits starten können. Feministische Produktionsbedingungen heißt für mich, gegenseitige Unterstützung im Netzwerk von Frauen. Wir haben unser eigenes Residenzstipendium ganz ohne staatliche Kunstförderung organisiert und uns gegenseitig unterstützt.  

Was sind deine Karriere-Tipps für junge Kreative und Künstlerinnen?

Netzwerken ist der wichtigste Tipp, baut euch breite Netzwerke auf. Außerdem ist die künstlerische Karriere von Frauen auch abhängig von der Partnerwahl. Je nachdem wie unterstützend der Partner/die Partnerin ist, wird die Karriere umso besser oder schlechter laufen. Das gilt für alle, Männer und Frauen.

Es ist wichtig, öffentlich aufzutreten und Gelegenheiten wahrzunehmen und wenn jemand etwas anbietet, ´ja´ zu sagen und nicht ´ja vielleicht` oder ´ja später`.

Die Konkurrenz im Fotografie-Bereich ist so groß, dass man auf einem hohen Niveau handeln und wirklich sehr gut werden muss und auf gar keinen Fall ´nein` sagt, wenn man die Chance erhält.