Prof. Dr. Bartholomäus, Natalie: Interview über Business Ethik und Karrierechancen für Frauen

Prof. Dr. Natalie Bartholomäus ist Diplom-Kauffrau mit dem Schwerpunkt Internationales Management. Nach dem Studium hat sie acht Jahre lang als Unternehmensberaterin im internationalen Projektgeschäft an unterschiedlichen Standorten wie München und Rom gearbeitet. Sie hat mehrjährige Praxiserfahrung als Trainerin und Coach für Führungskräfte gesammelt und berufsbegleitend an der privaten Universität Witten/Herdecke promoviert.

Seit 2015 hat sie eine Professur für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Bielefeld inne. Das Lehrgebiet der 40-Jährigen umfasst Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement und Organisation. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der Kompetenzdiagnostik und -entwicklung von Führungskräften.

Gemeinsam mit Prof. Riza Öztürk hat sie das CintQoop, das Center for international qualification and corporation gegründet zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der FH Bielefeld und regionalen Unternehmen im internationalen Handlungsfeld.

Frau Bartholoomäus, wie sind Sie zum Thema „nachhaltige Unternehmensführung“ gekommen?

Im Rahmen meiner Promotion habe ich das Kompetenzprofil von Führungskräften untersucht, die sich dem Thema der Nachhaltigkeit verschrieben hatten. Die Frage, wie neben der Gewinnmaximierung das Thema Corporate Social Responsibility auf Führungsebene verankert werden kann, hat mich schon immer interessiert. Das Ergebnis lässt sich wie folgt zusammenfassen: Führungskräfte benötigen das innere Mind-Set: „wir wollen Gewinn maximieren, aber unter Akzeptanz ethischer Grenzen“.  Man muss für dieses Thema einstehen und dann eine Strategie in der Organisation implementieren. Dies kann durch ein Gremium, einen Nachhaltigkeits-Referenten oder auch durch Projekte erfolgen. Anschließend sollte das Ganze glaubwürdig nach außen kommuniziert und nach innen gelebt werden. Berücksichtigt man diese Reihenfolge – erst denken, dann handeln, dann kommunizieren – stehen die Chancen sehr gut, dass das Unternehmen mit Nachhaltigkeit erfolgreich wird.

Das hört sich jetzt sehr einfach an. Wie sieht es in die Praxis aus?

Das Mind-Set, das ich beschreibe, besagt, dass die Grenze der Profitmaximierung dort liegt, wo Gesetze vorliegen oder auch ein ethischer Einwand besteht. Auch in unserer Region zeigen jüngste Unternehmenseispiele, dass diese Grenze nicht akzeptiert und alles ausgereizt wird. Dann ist der Imageschaden aber immens, weil eine sensitive Öffentlichkeit solch eklatantes ethisches Fehlverhalten nicht mehr hinnimmt. Allerdings gibt es gerade in OWL viele ermutigende Unternehmensbeispiele. Im Juni wurde beispielsweise der CSR-Preis OWL 2020 von der Initiative für Beschäftigung und der GILDE in Detmold verliehen. Mit like a bird, Hagedorn und LOEWE Logistics wurden drei vorbildliche CSR-Unternehmen aus OWL ausgezeichnet, die von Frauen vertreten wurden. Da möchte ich ein großes Lob für die tollen und engagierten Unternehmerinnen in der Region aussprechen.

Was bedeutet für Sie Erfolg?

Ich fühle mich erfolgreich, wenn ich im Flow bin und die Ergebnisse auch anderen Impulse geben. Meine Erfolgseigenschaften habe ich tatsächlich im Vorfeld mit meinen Mitarbeitenden reflektiert: Ich arbeite sehr strukturiert, ergebnisorientiert und lasse nicht locker, bevor wir das Ergebnis erreicht haben. Darüber hinaus haben wir im Team ein sehr großes gemeinsames Werteverständnis. Ich würde uns als mutiges Team bezeichnen, denn wir starten mit neuen Ansätzen. Zum Beispiel erarbeiten wir hier ein Innovationsprojekt, in dem ab nächstem Semester international virtuelle Lehre betrieben wird.
Auch Netzwerken zählt für mich zum Erfolg. Ich bin im CSR-Netzwerk in OWL aktiv, im Fachbeirat und auch in der Jury für den CSR-Preis. Dann baue ich mit Prof. Öztürk das Unternehmensnetzwerk für das internationale Handlungsfeld CintQuoop auf, das sehr gut wächst. Darüber hinaus pflege ich mein persönliches Netzwerk, das mir sehr wichtig ist.

Welche Bedeutung messen Sie der Genderfrage im wirtschaftlichen Kontext bei?

Ich habe ja in meiner Forschung keinen expliziten Fokus auf Frauen. Ich betrachte das Thema Führung und Kompetenzen ohne Genderfokus und versuche Antworten darauf zu finden, welches Verhalten besonders effektiv ist. Allerdings fallen mir bei meinen eigenen Datenerhebungen Unterschiede zwischen Frauen und Männern auf. Wir führen gemeinsam mit Trafobeat und ComX eine Untersuchung durch zum Thema „Führen in der Corona-Krise“ durch. Dabei konnten wir feststellen, dass Frauen in der Krise erfolgreicher sind als ihre männlichen Kollegen. Frauen haben bei allen abgefragten Führungskompetenzen besser abgeschnitten, vor allem bei der Frage, wie gut die Führungskraft Lösungen innerhalb der Krise kommuniziert. Das liegt daran, dass Frauen besser Visionen kommunizieren können, nach dem Motto: „Wir haben eine unsichere Zeit, aber ich gebe dir mit meiner Kommunikation eine Orientierung, wo wir hinwollen und wie wir dahin kommen können.“ Studien an der Leuphana Universität Lüneburg haben ergeben, dass Frauen einen höheren Fokus auf sozio-ökologische Problemstellungen haben. Das bedeutet, dass Frauen sehr gut platziert sind, wenn es darum geht, mehr sozio-ökologische Qualität in Teams reinzubringen und mit starken Visionen aus der Krise rauszuführen. Das heißt für mich, man kommt an Frauen nicht vorbei, wenn es darum geht, Krisen zu managen. Das Paradoxe ist, dass Frauen aufgrund der gewachsenen Strukturen gleichzeitig als Verliererinnen der Krise gelten. Das Fraunhofer Institut hat gerade eine Studie rausgebracht, die zeigt, wenn beide im Homeoffice arbeiten, sind beide zufriedener, aber Frauen empfinden im Vergleich zu den Männern einen 20 % höhere Belastung, begründet in der Doppelbelastung durch Kind, Haushalt und vielleicht noch pflegebedürftige Angehörige. Wir sehen, dass wir in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit noch nicht auf Legitimationsdruck von außen verzichten können. Frauen verdienen noch immer 20 Prozent weniger als Männer, das sind 4,44 € brutto pro Stunde. Auch die Quotenregelung baut Druck von außen auf und das finde ich nicht schlecht. Solange Ungleichbehandlung besteht, sollte der Staat hier dranbleiben. Gleichzeitig brauchen wir eine Parallelbewegung von innen, in der die Frauen sich auf ihren Karriereweg machen und Unternehmen entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, unter denen sich diese Karrieren auch realisieren lassen. Ich träume von einer Zeit, in der niemand mehr über Gleichstellung sprechen muss, sondern reine Kompetenzorientierung ohne Bias zählt.

Der Lockdown hat zu einem Sprung in Richtung digitalisierter Büros mit mobilen Arbeitsplätzen, Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit etc. geführt. Glauben Sie, dass sich das flexible Arbeiten in die „Nach-Corona-Zeit“ retten lässt und dass Frauen davon profitieren können?

Wir müssen in drei Settings denken. Wir kommen von der Onsite-Welt, in der alle physisch präsent waren, und gehen in die Remote-Welt, in der wir nur noch virtuell unterwegs sind. Von dort werden wir Kombinationsformen entwickeln. Sehr viele Organisationen und Unternehmen evaluieren, welche Arbeitsweisen funktionieren und beibehalten werden können. Das digitale Arbeiten hat Vorteile und hat vielfach auch zu einer erhöhten Lebensqualität geführt. Die Führungskräfte müssen nun im Besonderen darauf achten, was das Team braucht und welche Erfolgsfaktoren zählen. Wir haben gerade eine Untersuchung in der Telekommunikationsbranche durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass die Kontaktfrequenz erhöht werden muss, damit sich die Mitarbeitenden wohl fühlen. Wenn in der physischen Welt einmal wöchentlich kommuniziert wurde, ist es online notwendig täglich zu kommunizieren. Aber da muss sich die Führungskraft gut vorbereiten, weil der Kontakt mit den Mitarbeitenden nur mit einer klaren Struktur Sinn macht. Und ob für Frauen Homeoffice förderlich sein wird oder nicht, das kann ich nicht sagen. Ich glaube, dass sich vielleicht insgesamt die Lebensqualität verbessert, wenn die KITA- und Pflegerahmenbedingungen wieder optimal sind. Das flexibles Arbeiten Karrieren fördern kann, soweit würde ich nicht gehen. Karrieren hängen aus meiner Sicht von guten Kompetenzen ab, die einfach clever einzusetzen sind. Und dann ist es egal, ob ich online oder offline bin.

Können Sie Karrieretipps für karrierewillige Frauen ableiten?

Eine Guide-Line von mir ist: jede sollte immer wissen, was sie kann, sich damit positionieren und vor allem dranbleiben. Frauen scheitern eher, wenn sie sich nicht klar und selbstbewusst positioniert haben. Ich glaube, man muss sich darüber im Klaren sein, was man wirklich gut kann, und sollte das dann selbstbewusst vertreten. Und wenn man sich dann die passenden Netzwerke sucht, in die diese Kompetenzen gut einzubringen sind, und wirklich an sich glaubt und konsequent dranbleibt, dann bleibt der Erfolg nicht aus. Als Vorbildunternehmerin möchte ich noch mal auf Barbara Hagedorn verweisen, die sich mit der Hagedorn-Unternehmensgruppe in einer Männerdomäne durchsetzt und sich klar für Social Responsibility ausspricht. Das Unternehmen fördert seit vielen Jahren soziale Projekte und kommuniziert glaubwürdig nach innen und außen. Barbara Hagedorn setzt mutig neue Impulse und lässt sich von nichts und niemanden beirren. Wenn man sich nicht beirren lässt, fängt man irgendwann die Mäuse.