Mythen und Fakten zu Frauen in Führungspositionen

Glaubt man den Darstellungen in den Medien, haben Frauen ihren Weg in die höchsten Führungspositionen gefunden.

Frauen wie Angela Merkel, Christine Lagarde, Andrea Nahles und Simone Bagel-Trah stehen Staaten, weltweiten Organisationen, Parteien und Aufsichtsräten von börsennotierten Großunternehmen vor. Dank ihrer guten Ausbildung und zahlreicher Gleichstellungsmaßnahmen, -gesetze und Frauenquoten ist der Frauenanteil in Führungspositionen im Zeitverlauf gestiegen. Ihr Weg nach oben ist unaufhaltsam, zumal der so genannte weibliche Führungsstil angesichts von Korruptionsskandalen und weltweiten Wirtschaftskrisen gesellschaftlich stark nachgefragt wird (Bührmann 2014; Vollmer 2015) und als Führungsstil der Zukunft gilt – allerdings schon seit den späten 1990er Jahren (Krell 2008: 320).

Zahlen und Fakten

Und auch ihr Anteil von etwa 30 Prozent an allen Führungskräften in der Privatwirtschaft (Holst/Friedrich 2017: 19) ist im Zeitverlauf nur sehr langsam gestiegen und entspricht nicht weder ihrem Anteil an allen Hochschulabsolvent*innen von über 50 Prozent (Statistisches Bundesamt 2019) noch dem Frauenanteil an allen Angestellten der Privatwirtschaft (52 Prozent, Holst/Friedrich 2017: 20). Insgesamt liegt der Frauenanteil an Führungspositionen in Deutschland bei etwa 36 Prozent. Im öffentlichen Dienst haben Frauen inzwischen fast die Hälfte der Führungspositionen inne (Holst/Friedrich 2017: 23), stellen dort allerdings auch 57 Prozent der Beschäftigten (Altis 2018: 66). Grundsätzlich gilt: Je höher die Führungsebene, desto weniger Frauen. Im Topmanagement liegt der Frauenanteil bei etwa 22 Prozent (Holst/Friedrich 2017: 29); in den Vorstandspositionen der 100 größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland bei 10 Prozent (Holst/Wrohlich 2019: 23). Frauen sind häufiger in Führungspositionen kleiner und mittlerer Unternehmen zu finden: Je größer das Unternehmen, desto weniger Frauen in Führungspositionen. Je größer aber das Unternehmen, desto besser sind Verdienst-, Aufstiegs- und Einflussmöglichkeiten (Holst/Friedrich 2017: 32).

Diese Fakten tragen dazu bei, dass Frauen in Führungspositionen weniger verdienen als ihre Kollegen, und zwar durchschnittlich 23 Prozent (Holst/Friedrich 2017: 74). Je höher die Einkommensgruppe, desto weniger Frauen sind in ihr vertreten (Holst/Friedrich 2019: 77). Auch bei Sondervergütungen, Gewinnbeteiligungen und Gratifikationen wie privat nutzbaren Diensthandys, Laptops und Firmenwagen sind männliche Führungskräfte im Vorteil (Holst/Friedrich 2019: 81-84). Die Hauptursachen für den Gender Pay Gap liegen in der unterschiedlichen Positionierung von männlichen und weiblichen Führungskräften im Unternehmen und in ihrer unterschiedlichen Verteilung auf Berufsfelder und Branchen (Holst/Busch 2009). Allerdings kann ein großer Teil der Lohndifferenz nicht mit Position, Berufswahl oder Unternehmensgröße erklärt werden, sondern wird auf diskriminierende Praktiken und Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen zurückgeführt (Holst/Busch 2009: 31). In vielen Unternehmen gibt es Hinweise darauf, dass sich sowohl Teilzeitpositionen als auch berufliche Unterbrechungen negativ auf die Bewertungen in Jahresgesprächen auswirken, die maßgeblich für Beförderungen und Gehaltsverhandlungen sind.

Gleichstellung und „weiblicher Führungsstil“

Die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen und ihre schlechtere Bezahlung sind seit langem ein Thema in Wirtschaft und Politik, und sie gehören zu den vorrangigen Zielen der Europäischen Union. In Deutschland wurde 2015 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen verabschiedet, das u.a. eine verbindliche Geschlechterquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen vorsieht. Seit 2017 gilt das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Holst/Friedrich 2017).

Auch in der Wirtschaft gibt es zahlreiche Initiativen zur Erhöhung des Frauenanteils an Führungspositionen. Die Strategien folgen einer „Business-Case-Argumentation“ (Bührmann 2014: 99). Die wichtigsten Argumente sind, dass „angesichts eines drohenden Fachkräftemangels mehr Frauen in Führungspositionen eine bessere Ausnutzung des Reservoirs an ‚Humankapital‘ ermöglichen“ und dass „divers zusammengesetzte Teams (…) bessere Entscheidungen fällen, innovativere Prozesse anstoßen und so letztlich nachhaltigere Lösungen finden könnten“ (Bührmann 2014: 99).

Untersuchungen der Unternehmensberatungsfirmen Catalyst (2004) und McKinsey (2007) haben gezeigt, dass Unternehmen mit einer Mindestanzahl von Frauen (etwa einem Drittel) in den höchsten Führungsgremien tatsächlich bessere Kennzahlen erwirtschaften als Unternehmen ohne bzw. mit weniger Frauen in Führungspositionen. Sie unterstellen, dass Frauen „‚anders‘ seien und deshalb ‚andere‘ Entscheidungen träfen und ‚anders‘ führten“ (Bührmann 2014: 100).

Führen Frauen „anders“?
Tatsächlich gibt es zahlreiche Forschungsergebnisse, die dies bestätigen. Die Forschungen Thema lassen sich in drei verschiedene Richtungen untergliedern: „Frauen führen besser“, „Frauen führen schlechter“ und „Frauen führen anders, aber gleich gut“. Für alle Annahmen lassen sich in der Literatur Bestätigungen finden; die Forschungsergebnisse sind uneindeutig (Krell 2008) 

„Frauen führen besser“
Glaubt man den aktuellen Medien, ist die ideale Führungskraft eine Frau. Während der männliche Führungsstil als „risikoaffin und korruptionsanfällig“ (Vollmer 2015: 52)  damit als Auslöser für die Skandale und Wirtschaftskrisen der Vergangenheit gilt, wird das weibliche Gegenstück als Weg aus der Krise gepriesen. Vermittelt wird der Eindruck, dass männliche Managementteams den Aufgaben der Zukunft – Globalisierung, technologischer und demografischer Wandel, Vertrauensverlust der Wirtschaft durch Missmanagement und Korruptionsfälle – nicht mehr gewachsen seien.

Managementratgeber machen dies an „typisch weiblichen“ Führungseigenschaften fest: der Fähigkeit zum ganzheitlichem, vernetzten Denken und zur offenen Kommunikation mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, dem Management von Komplexität und Multikulturalität, einem kooperativen und partizipativen Führungsstil, einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn sowie dem Verzicht auf Machtgebaren und starren Hierarchien, z.B. bei der Weitergabe von Informationen. Zudem gelten Frauen als besonders kreativ und innovationsfähig (für einen Überblick Krell 2008). Forschungsarbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass weibliche Führungskräfte Macht als Gestaltungsmittel und weniger als Mittel zur Dominanz und Kontrolle sehen; sie gelten als flexibler, intuitiver und empathischer, schaffen ein produktiveres Arbeitsklima, motivieren ihre Mitarbeiter*innen besser und mobilisieren deren Ressourcen und Kreativität (z.B. Alvesson/Billing 1997). Verschiedene Autor*innen sehen „spezifische weibliche Stärken“ im Konzept der transformationalen Führung berücksichtigt. Im Gegensatz zur transaktionalen Führung, bei der es um einen Austausch von Leistung gegen Anerkennung und Belohnung geht, versucht transformationale Führung, die Geführten für eine gemeinsame Sache zu begeistern und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Mit von visionären und charismatischen Elementen werden Bedürfnisse und Werte der Geführten und dadurch auch Organisationskulturen verändert (Staehle 1999).

„Frauen führen schlechter“
Während bis in die späten 1960er Jahre die Eignung von Frauen als Managerinnen bezweifelt wurde, ging die Ratgeberliteratur der 1970er Jahre von der Annahme aus, dass Frauen erfolgreich managen können, wenn sie sich an die Verhaltensweisen männlicher Führungskräfte anpassen (Krell 2008). Noch heute finden sich Aussagen zu Defiziten von Frauen im strategischen Aufstiegsverhalten und im Umgang mit Mikropolitik in der Organisation in der Literatur. Untersuchungen beziehen sich vor allem auf die Bewertung weiblicher Führungskräfte (z.B. Bischoff 2005: 267): Frauen seien zu emotional, irrational, unberechenbar, launisch und fachlich minderqualifiziert.
Insbesondere Frauen kritisierten an ihren weiblichen Untergebenen, Kolleginnen und Vorgesetzten Konkurrenzdenken und Rivalität, Neid und Eifersucht, Machtkämpfe, Intrigen und Spannungen.

„Frauen führen anders, aber gleich gut“
Inzwischen hat sich Annahme durchgesetzt, dass Frauen und Männer unterschiedlich, aber gleich gut führen. In Laborversuchen wurde nachgewiesen, dass Männer in Arbeitsgruppen vorrangig die Erfüllung von Sachanforderungen anstrebten, während Frauen mehr Gewicht auf den Gruppenzusammenhalt legten. Während Männer zu einem wettbewerbsorientierten Arbeitsstil und Mehrheitsentscheidungen neigten, bevorzugten Frauen einen kooperativen Arbeitsstil und konsensuelle Entscheidungen. Männergruppen seien erfolgreicher in der schnellen Bearbeitung gut beschriebener, eindeutig lösbarer und eher quantitativ definierter Aufgaben, Frauengruppen dann, wenn die Aufgabenlösung konsensbedürftig sei und stark von der Kreativität der Gruppe abhänge (Friedel-Howe 1990).

„Frauen führen nicht anders“
Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Untersuchungen, die seit Ende der 1970er Jahre weltweit durchgeführt wurden, verneint signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede im Führungsverhalten; insbesondere Studien, die nicht im Labor, sondern in einer konkreten Unternehmenssituation durchgeführt wurden (Krell 2008). Dieser Befund entspricht auch dem Stand der Forschung in der Führungslehre, nach dem es keinen idealen, in allen Situationen erfolgreichen Führungsstil gibt (Staehle 1999). Vielmehr gleichen sich erfolgreiche männliche und weibliche Führungspersonen in wichtigen Punkten (Staehle 1999; Neuberger 2002). Zudem unterscheiden sich die inhaltlichen Anforderungen und praktischen Zwänge im Führungsalltag nicht für männliche und weibliche Führungskräfte und erfordern gleiche oder ähnliche Reaktionen (Neuberger 2002).

Fazit
Die Befunde zu der Frage, ob Frauen besser oder schlechter, anders oder gleich führen, geben Anlass zur Diskussion: Wie kommt es, dass sich einander widersprechende Annahmen durch eine Vielzahl von Forschungsarbeiten empirisch belegen lassen? Viele Autor*innen (z.B. Krell 2008) weisen auf gravierende methodische Mängel in vielen Arbeiten hin, zum Beispiel eine schmale empirische Basis. Oder es werden Rückschlüsse auf Geschlechtsunterschiede gemacht, die in Wirklichkeit auf die Situation der Führungsperson zurückzuführen sind. Und viele Laborstudien lassen sich nicht auf die Situation in Organisationen übertragen.

Hinzu kommt, dass es sich bei der Mehrheit der Untersuchungen um Befragungen von Personen aus der Umgebung der Führungskräfte handelt. Diese Personen haben unterschiedliche Erwartungen an eine Führungskraft und bewerten daher bestimmte Eigenschaften positiv oder negativ. Ihre Einschätzung wird beeinflusst von Geschlecht, Schulbildung, Alter und Erfahrungen mit männlichen und weiblichen Führungskräften sowie ihrer Positionierung zur Führungskraft (Vorgesetzte*r, Mitarbeite*r oder Kolleg*in). Bei der Befragung werden Geschlechterstereotype aktiviert, die die Bewertung von Führungsverhalten beeinflussen (Krell 2008).

Etwas Ähnliches passiert in der Unternehmenspraxis bei der Bewertung, Einstellung und Entlohnung weiblicher Führungskräfte; selbst dann, wenn sich die Handelnden für vorurteilsfrei halten und Frauen bewusst fördern: Forschungsergebnisse zu Einstellungsverfahren zeigen, dass für Führungsaufgaben weiterhin eher Männer eingestellt werden, die als dominant und entscheidungsfähig wahrgenommen werden (Vollmer 2015; Krell 2008). Auch die Eigenschaften, die dem idealen Topmanager zugeordnet werden (Durchsetzungs- und Entscheidungsfähigkeit, Leistungsorientierung und Risikobereitschaft) haben sich im Zeitverlauf nicht wesentlich verändert (Krell 2008). Zeigen Frauen diese Eigenschaften, werden sie jedoch als negativ beurteilt (und nicht eingestellt), weil sie der Vorstellung der sozialen weiblichen Führungskraft nicht entsprechen und als „unsympathisch“ wahrgenommen werden (Vollmer 2015).

Insofern trägt die Annahme eines überlegenen weiblichen Führungsstils nicht nachhaltig dazu bei, den Frauenanteil in Führungspositionen zu vergrößern oder den Gender Pay Gap zu überwinden. Im Gegenteil legt sie Frauen auf bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen fest, die sie ihrem Aufstieg in höhere Führungsebenen benachteiligen. Und bestraft sie, wenn sie diese Eigenschaften und Verhaltensweisen nicht aufweisen. Die Annahme eines weiblichen Führungsstils verstärkt bestehende Vorurteile über Männer und Frauen und versperrt den Blick auf individuelle Eigenschaften von (möglichen) Führungskräften. Sie überfordert Frauen, die neben ihrer inhaltlichen Aufgabe qua Geschlecht das „soziale Klima“ im Unternehmen verbessern sollen. Und sie verschleiert strukturelle Diskriminierungen und Ausschließungsprozesse innerhalb der Organisation und der Gesellschaft, die Frauen weiterhin systematisch benachteiligen. 

Geschrieben von Dr. Annette von Alemann, Universität Paderborn

Literatur:

Altis, Alexandros (2018): Entwicklung der Beschäftigung im öffentlichen Dienst bis 2017. In: WISTA Wirtschaft und Statistik, Ausgabe 5/2018, S. 57-67.
Internetquelle
(Abruf: 22.02.2019)

Alvesson, Mats/Billing, Yvonne Due (1997): Understanding Gender and Organizations. London u.a.: Sage.

Bischoff, Sonja (2005): Wer führt in (die) Zukunft? Männer und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland.
Die 4. Studie. Bielefeld: Bertelsmann.

Bührmann, Andrea (2014): Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterkonstruktionen: Die mediale Darstellung von Frauen in Top-Führungspositionen. WSI Mitteilungen 2/2014, S. 97-104.

Catalyst (2004): The Bottom Line: Connecting Corporate Performance and Gender Diversity. New York u.a.: Catalyst.
Internetquelle

Equal pay day (2019): Fakten zum Equal Pay Day.
Internetquelle (Abruf: 21.02.2019)

Friedel-Howe, Heidrun (1990): Ergebnisse und offene Fragen der geschlechtsvergleichenden Führungsforschung. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 34 (1), S. 3-16.

Holst, Elke/Busch, Anne (2009): Der „Gender Pay Gap“ in Führungspositionen der Privatwirtschaft in Deutschland. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research 169. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

Holst, Elke/Friedrich, Martin (2017): Führungskräfte-Monitor 2017. Update 1995–2015. Politikberatung kompakt 121. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

Holst, Elke/Wrohlich, Katharina (2019): Managerinnen-Barometer 2019. DIW Wochenbericht 3/2019. Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

Krell, Gertraude (2008): „Vorteile eines neuen, weiblichen Führungsstils“: Ideologiekritik und Diskursanalyse. In: Krell, Gertraude (Hg.), Chancengleichheit durch Personalpolitik. Gleichstellung von Frauen und Männern in Unternehmen und Verwaltungen. Wiesbaden: Gabler, S. 319-330.

McKinsey (2007): Gender diversity, a corporate performance driver.
Internetquelle (Abruf: 22.02.2019).

Neuberger, Oswald (2002): Führen und führen lassen. 6. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius.

Staehle, Wolfgang H. (1999): Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. München: Vahlen.

Statistisches Bundesamt (2019): Frauenanteile der
Studierenden, Absolventen und des Personals an Hochschulen.
Internetquelle (Abruf: 21.02.2019)

Vollmer, Lina (2015): Unbewusstes Diskriminieren – Sozialpsychologische Effekte und mögliche Lösungsansätze. In: Klemisch, Michaela/ Spitzley, Anne/ Wilke, Jürgen (Hg.), Gender- und Diversity-Management in der Forschung. Stuttgart: Fraunhofer Verlag, S. 52-59.